Gemeinsamkeit ist k(l)eine Insel: Überleben im Anthropozän oder Warum basisdemokratische Oasen unsere beste Chance gegen Kollaps und Faschismus sind
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Wir stehen am Abgrund, und ein Großteil von uns kneift die Augen fest zusammen. Der TED-Talk von David Finnigan über die Psychologie des Klimawandels legte schmerzhaft den Finger in die Wunde: Klimaleugner wollen die Konsequenzen der Klimakatastrophe nicht wahrhaben und leugnen daher die Katastrophe selbst. Doch was ist mit uns, den “Nicht-Leugnern”? Wir glauben zwar an die wissenschaftlichen Fakten, doch unser Handeln – geprägt von kognitiver Dissonanz und vielleicht sogar unbewussten Terror-Management-Strategien – spricht oft eine andere Sprache. Wir fliegen in den Urlaub, konsumieren weiter, als gäbe es kein Morgen, und – vielleicht am fatalsten – wir erziehen unsere Kinder, als würde ihre Zukunft ein Spiegelbild unserer Vergangenheit sein. Sie wird es nicht.
Die bittere Realität: Was uns bevorsteht
Die Klimakatastrophe ist keine abstrakte Bedrohung mehr. Sie manifestiert sich bereits heute in Extremwetterereignissen, schwindenden Ressourcen und beginnenden Verteilungskämpfen. Was uns in naher Zukunft mit noch größerer Wucht treffen wird, sind massive Nahrungsengpässe durch Ernteausfälle, unbewohnbar werdende Regionen durch Dürren, Hitzewellen und Überflutungen, und daraus resultierende globale Fluchtbewegungen von nie dagewesenem Ausmaß. Ein Zusammenbruch des globalisierten, kapitalistischen Systems, wie wir es kennen – mit seinen fragilen Lieferketten, seiner abhängigen Energieversorgung und seinem instabilen Finanzsystem – ist unter diesen Umständen nicht nur denkbar, sondern rückt in bedrohliche Nähe.
Die politischen und sozialen Folgen zeichnen sich bereits ab: Naomi Klein und Astra Taylor warnen vor einem aufkeimenden “Endzeit-Faschismus”. Konzern-dominierte Stadtstaaten, eine autoritäre Abschottung des Globalen Nordens unter dem Deckmantel des “Ressourcenschutzes” (eine Form des Öko-Faschismus) und ein brutaler Umgang mit Schutzsuchenden könnten die neue Normalität werden. Das faschistoide Narrativ der “Flüchtlingsströme”, das von Bewegungen wie PEGIDA, der AfD und ähnlichen Gruppierungen in Europa verbreitet wird, ist ein unheilvoller Vorbote. Die Vorstellung, dass an den Grenzen Europas oder anderer privilegierter Regionen massenhafter Genozid verübt wird, um die schwindenden Ressourcen für “uns” zu sichern, rückt von einer dystopischen Vision beängstigend nah an eine mögliche Realität. Viele Menschen suchen bereits heute Zuflucht in stark hierarchisierten Organisationen und starren Denkweisen, die einfache Antworten auf komplexe Probleme versprechen.
Aufhören mit dem “Weiter so”: Die Notwendigkeit einer klimaresilienten Gesellschaft
Wir müssen diesen drohenden Szenarien ins Auge blicken – nicht um in Panik zu verfallen, sondern um handlungsfähig zu werden. Die Verdrängung lähmt uns. Stattdessen brauchen wir eine grundlegend andere Gesellschaftsform: eine, die nicht nur ökologisch nachhaltig, sondern auch sozial und politisch klimaresilient ist. Eine Gesellschaft, die Stürmen standhalten kann, sowohl den meteorologischen als auch den politischen.
Was aber macht eine solche Gesellschaft aus?
- Basisdemokratie und Agilität: Echte Teilhabe schafft ein Gefühl von Sicherheit und Selbstwirksamkeit – ein starkes Antidot gegen Ohnmacht und autoritäre Verlockungen. Organisationsformen wie die Soziokratie oder Holakratie zeigen, wie dezentrale Entscheidungsfindung mit schneller Reaktionsfähigkeit verbunden werden kann. In der Soziokratie beispielsweise werden Entscheidungen in thematisch organisierten Kreisen im Konsentprinzip getroffen – es wird also kein Einwand übersehen, der die gemeinsame Zielerreichung gefährden könnte. Auch basisdemokratische Ansätze, die das Konsentprinzip nutzen, wie sie in vielen Projekten erprobt werden, ermöglichen breite Akzeptanz und flexible Anpassung an veränderte Umstände.
- Lokale, vernetzte Organisation (Bottom-Up): Kleinere, dezentrale Einheiten sind im Chaos robuster und anpassungsfähiger als starre, große Systeme. Sie können flexibel auf lokale Bedürfnisse reagieren und ein direktes Gegenmodell zum hierarchischen Faschismus bilden. Die lokale Ebene ermöglicht es, Verantwortung konkret zu erleben und gemeinschaftlich Lösungen zu entwickeln, ähnlich den Prinzipien der Transition-Town-Bewegung oder vieler Ökodorf-Projekte.
- Ausstrahlung und Inspiration – Keine Inseln der Seligen: Diese lokalen Organisationen dürfen sich nicht abschotten. Ihre Stärke liegt darin, schon heute eine andere Form der Resilienz zu leben und auszustrahlen. Sie müssen in ihre Nachbarschaften, Städte und Dörfer hineinwirken, Menschen positiv anziehen, inspirieren und zum Mitmachen einladen – durch offene Gärten, offene Werkstätten (wie Repair Cafés und Fahrradwerkstätten), Bildungsangebote und Wissensvermittlung, Kulturveranstaltungen, Food-Coops oder einfach durch das sichtbare Vorleben einer funktionierenden Gemeinschaft. Sie werden zu Keimzellen eines anderen Lebens und Wirtschaftens.
- Verwobenheit und gegenseitiger Schutz: Angesichts der Verteilungskämpfe um Ressourcen wie Nahrungsmittel ist es naiv zu glauben, dass erfolgreiche lokale Projekte nicht Ziel von Neid oder gar Angriffen aus faschistoiden oder verzweifelten Ecken werden könnten. Eine tiefe Verwurzelung in der direkten Nachbarschaft, Allianzen und Netzwerke gegenseitiger Unterstützung (z.B. lokale Tauschringe, Notfallpläne, solidarische Landwirtschaftsmodelle, die über den eigenen Hof hinausgehen) sind daher unerlässlich – nicht nur für den sozialen Zusammenhalt, sondern auch für den physischen Schutz.
Ein Leuchtturm in stürmischen Zeiten: Die Initiative Neue Stadtgärtnerei
Dass dies keine Utopie bleiben muss, zeigt die Initiative Neue Stadtgärtnerei (NSG) in Bonn. Sie ist ein lebendiges Experimentierfeld für eine resiliente und menschenfreundliche Zukunft und versteht sich explizit als Gegenmodell zu den zerstörerischen Tendenzen des Spätkapitalismus und aufkeimenden Faschismus:
- Gelebte Basisdemokratie und Resilienz: Die NSG ist basisdemokratisch organisiert und nutzt das Konsentprinzip in ihren Entscheidungsprozessen. Sie betreibt eine klimaresiliente Landwirtschaft. Zukünftige Projekte wie ein Repair Café, eine Fahrradwerkstatt und das Kernthema Wohnen mit sozial tragbaren Mieten (als Gemeingut verstanden und dem spekulativen Markt entzogen) erweitern diesen Ansatz.
- Gemeinschaft als Kern: Eine sich selbstverwaltende Gemeinschaft von rund 100 Menschen soll das Rückgrat der Initiative bilden. Hier wird Solidarität praktisch gelebt und Verantwortung geteilt.
- Inspiration und Ko-Kreation: Die NSG will nicht nur für sich existieren, sondern die Bonner Bürger*innen inspirieren, ihnen Angebote machen und gemeinsam mit ihnen Neues schaffen und bilden. Sie ist ein offener Ort des Lernens und des Austauschs.
- Soziale Resilienz durch Integration: In Zusammenarbeit mit Partnern wie der Montag Stiftung Urbane Räume schafft die NSG durch Stadtteilintegrationsarbeit sozial resiliente Strukturen, die weit über den eigenen Gartenzaun hinaus wirken.
Mehr als lokale Oasen: Die Kraft der Vernetzung
Doch so wichtig lokale Keimzellen sind, sie dürfen nicht isoliert bleiben. “Gemeinsamkeit ist k(l)eine Insel” bedeutet auch, dass diese Projekte voneinander lernen, sich gegenseitig unterstützen und eine größere, transformative Kraft entwickeln müssen. Die NSG selbst strebt dies an, indem sie als Mitglied des Mietshäuser Syndikats (MHS) auch als überregionales und internationales Beispiel dienen möchte.
Das Mietshäuser Syndikat ist ein beeindruckendes Netzwerk von mittlerweile über 200 selbstorganisierten Hausprojekten in Deutschland (und mit Ablegern im Ausland), das Immobilien dem Markt entzieht und sie dauerhaft in Gemeineigentum überführt, um bezahlbaren Wohn- und Gewerberaum zu schaffen. Projekte wie das “Grethergelände” in Freiburg, das “Collegium Academicum” in Heidelberg oder die “Schellingstraße 6” in München sind nur einige Beispiele, die zeigen, wie vielfältig und erfolgreich dieser solidarische Ansatz sein kann. Das MHS-Modell sichert nicht nur langfristig günstige Mieten, sondern fördert auch demokratische Wohnformen und gemeinschaftliches Leben. Durch einen Solidartransfer zwischen älteren und neueren Projekten wird die Gründung weiterer Initiativen ermöglicht. Solche Netzwerke sind entscheidend, um Wissen zu teilen, Ressourcen zu bündeln, politische Schlagkraft zu entwickeln und der Vereinnahmung oder Zerschlagung einzelner Projekte entgegenzuwirken.
Der Weg nach vorn: Mut zur Veränderung
Die Herausforderungen sind immens, die Zukunft ungewiss. Doch die Lähmung durch Verdrängung oder Zynismus ist keine Option. Der Weg in eine überlebensfähige Zukunft führt über die aktive Gestaltung resilienter, demokratischer und solidarischer Gemeinschaften – von der lokalen Nachbarschaftsinitiative bis hin zu überregionalen und internationalen Netzwerken des Wandels. Es geht darum, die Saat der Hoffnung in den Boden der Realität zu pflanzen – lokal, aber mit globaler Perspektive. Initiativen wie die NSG und Netzwerke wie das Mietshäuser Syndikat sind mehr als nur “nette Projekte”; sie sind lebensnotwendige Labore für das Überleben der Menschheit in Würde und Freiheit. Es liegt an uns allen, solche Ansätze zu unterstützen, zu vervielfältigen und selbst Teil dieser Transformation zu werden. Denn die Alternative ist eine Zukunft, die wir unseren Kindern – und uns selbst – nicht zumuten dürfen.



